Hochschwanger sitzt meine Schwägerin auf der Eckbank. Nach der Bescherung liegt sie auf dem Sofa. Tritte bewegen ihren Bauch, ein Füsschen wird sichtbar. Alle freuen sich auf das Baby.
Später, als wir zu Hause im Bett liegen, meint mein Mann: "Lass uns nächstes Jahr noch einmal alles versuchen, vielleicht werden wir doch noch Eltern…" Ich nicke. "Ja, vielleicht", erwidere ich vage. Und irgendwo leuchtet ein Stern.
Nach dem Dreikönigstag werde ich Tante. Überglücklich über das grosse Geschenk, und auch ein bisschen traurig. Gerne wäre ich an der Stelle der jungen Frau. Ich halte meinen Neffen, und hoffe, dies irgendwann selbst erleben zu dürfen.
Ende Januar entdecke ich in einem versteckten Laden einen kleinen Holzweihnachtsbaum mit farbigen Kugeln. Er steht einsam im Schaufenster, als hätte er auf mich gewartet. Auf der Spitze eine geschnitzte Krippe mit Christkind und Weihnachtsstern. Zu Hause verstaue ich ihn im Keller. Ob wir damit je unser Familienweihnachtsfest feiern werden?
Und wir klappern noch einmal die Ärzte ab. Untersuchungen, Bluttests, Fragen. Alles sieht gut aus, keine Erklärung für den unerfüllten Wunsch.
Nach der Bauchspiegelung im März haben wir gute Voraussetzungen für weitere Schritte. Ich möchte uns aber noch einmal Zeit geben, bis im Sommer. Im April wieder nichts. Ich mache einen Arzttermin für Mitte Juni ab.
Anfang Mai geht es mir sehr gut. Zum ersten Mal bin ich wieder so richtig zufrieden. Als ich zwei Tage überfällig bin, mache ich Mitte Monat einen Test. Im ersten Moment sieht es nach nichts aus, ich spüre schon die Enttäuschung. Und plötzlich erscheint der zweite Strich, aus dem Nichts, unerwartet, die Erlösung. Wir können es kaum glauben. Schauen uns den Test immer wieder an, weinen, lachen. Wir möchten es langsam angehen und erzählen es doch gleich der ganzen Familie.
Gefühlt schwebe ich und warte meinen bereits vereinbarten Arzttermin ab. Der Arzt ist selbst erstaunt. Da ist ein Herz, und es schlägt. Errechneter Termin Mitte Januar.
Endlich sind wir an der Reihe. Es folgen wunderschöne, unbeschwerte Sommermonate, als wäre jeder Tag Geburtstag oder Weihnachten.
Der Bauch wächst, dem Baby geht es gut. Wir bereiten uns vor. Im Oktober ist das Kinderzimmer parat, ich lege die ersten Kleider in den Schrank. Wir freuen uns auf den Winter und die Adventszeit.
Im November, völlig unerwartet, aus dem Nichts, platzt die Fruchtblase. Die Welt steht kurz still. Nachts um zwei, es regnet, wir melden uns im Notfall. Nach den ersten Abklärungen werde ich in ein grösseres Krankenhaus verlegt. Lungenreife, abwarten. Unsicherheiten und der Glaube: es wird alles gut gehen, irgendwie.
Es könnte jederzeit losgehen, oder noch Wochen dauern.
Ein paar Tage später tönt ein Schrei in den verregneten Herbstabend. Eine kurze Begrüssung, dann tragen es die Ärzte in einen anderen Raum. "Geh mit ihm mit!" Mein zweiter Satz, nach "ich bin deine Mami".
Zehn Wochen zu früh, 1750g Wunder, in eine Windel gehüllt. Nicht in einer Krippe, sondern in einem Wärmebett auf der Neonatologie. Verkabelt, an Monitore angeschlossen und mit einer Infusion. Ein paar Stunden nach der Geburt lernen wir uns richtig kennen. Wir werden das schaffen, alles wird gut gehen. "Wir wünschen dir, dass du gut wachsen kannst und bald nach Hause kommst! Vielleicht schon an Weihnachten…" schreiben wir an den Wunschbaum im Eingangsbereich der Abteilung.
Ärztegespräch. "Erwarten Sie nichts vor Januar." Weihnachten zu Hause? Nein, sehr unwahrscheinlich. Erstes Abtasten, selber Aufgaben übernehmen, känguruhen. Es blinkt und piepst. Viele Ängste, aber auch ein kleines Baby mit grossem Lebenswillen.
Fünf Tage später komme ich nach Hause, mit leerem Bauch und einer Milchpumpe. Im Wohnzimmer schimmert es. Mein Mann hat meinen Holzweihnachtsbaum mit einer Lichterkette aufgestellt. Das Christkind auf der Spitze. Nur unser Kind fehlt. Ich breche in Tränen aus. Dann fahren wir zurück in die Klinik.
Pendeln. Kuscheln. Abpumpen. Mein Mann arbeitet wieder. Ich gehe nur zum Schlafen nach Hause. Überall ist Adventszeit, wir haben Sehnsucht. Ich versuche eine Weihnachtsgeschichte zu lesen, aber die Unbeschwertheit der Protagonisten macht mich traurig. Immer wieder müssen wir uns von unserem Baby verabschieden, die Trennung fühlt sich falsch an. Weihnachten kommt näher. Abends fahre ich manchmal mit dem Zug nach Hause. Überall Menschen mit Weihnachtseinkäufen, beleuchtete Bäume in den Vorgärten. Das ist mein Wochenbett, und eigentlich sollte ich noch schwanger sein.
Mitte Dezember habe ich keine Energie mehr. Alle Zimmernachbarn dürfen nach Hause.
Die Spitalseelsorgerin besucht mich. Sie spricht über Geduld, ich über mein zerrissenes Herz. Sie gibt mir ein Gedicht. Später beim Abpumpen lese ich es durch und versuche, nicht zu weinen. Warten auf den grossen Tag.
Irgendwann heisst es, eventuell zwischen Weihnachten und Neujahr. Besser als nichts. "Ich komm' nach Haus zu euch… Wenn das Jahr zu Ende geht…" tönt es aus dem Autoradio.
Unser Sohn wird grösser und stabiler, lernt selber trinken, die Magensonde wird gezogen, Kabel kommen weg, und dann der Wechsel in ein normales Bettchen. Zweieinhalb Kilo.
Fünf Tage vor Weihnachten plötzlich die frohe Botschaft: wenn alles gut geht, dann werden wir morgen entlassen. Abschlussuntersuchungen, Messungen. Eine letzte, ruhige, aber einsame Nacht ohne Baby zu Hause. Alles vorbereiten.
Euphorisch gehen wir am nächsten Tag mit der leeren Babyschale ins Krankenhaus. Im Lift werden wir gefragt, ob denn ein Kind zur Welt gekommen sei. Ja, und endlich kommt es nach Hause. Ein paar Stunden später tragen wir unser Baby raus. Gut eingepackt ruht er friedlich in der Babyschale. Auf dem Flur treffen wir auf die Seelsorgerin und ich lächle ihr zu. Es ist soweit, die lange Wartezeit ist vorbei.
"Coming home for Christmas" bekommt eine ganz neue Bedeutung. Jetzt sind wir bereit.
Nach fünf Wochen werden wir noch einmal richtig Eltern. Fünf lange Wochen, eine kurze Schwangerschaft und eine lange Kinderwunschzeit, und nun bringen wir ein Baby nach Hause.
Heiligabend. Die ganze Familie kommt zusammen. Meine Eltern, meine Geschwister, ihre Kinder, meine Grossmutter. Alle freuen sich und wuseln durch die Wohnung. Seelig schlafend liegt unter dem Baum unser kleines Weihnachtswunder, unser grösstes Geschenk.
Und irgendwo leuchtet ein Stern.
Auch dieses Jahr werden wir am 20. Dezember wieder speziell dankbar sein, für eine besondere Heimkehr vor fünf Jahren.
Für A. Danke.
Geschrieben von: Olivia Badraun Di Liberto
Kommentare (0)
Es gibt noch keine Kommentare. Sei der Erste, der einen Beitrag schreibt!